"Die Sorge vor dem Verlust von Erfahrungswissen aufgrund von KI ist gross": Interview mit Prof. Dr. Adrian Wildenauer

Adrian Wildenauer hat am Stratus Convent 2025 in Bern als Impulsgeber und Workshopleiter mitgewirkt. Was kommt auf die Fachleute in den Liegenschaftsabteilungen zu und wie wird sich das Immobilienportfolio-Management durch KI verändern? Wir haben den Experten zu seinen Erfahrungen mit dem Workshop und zu seinen Empfehlungen angesichts der aktuellen Herausforderungen befragt.

Herr Professor Wildenauer, Sie haben am Stratus Convent 2025 einen Workshop zur Künstlichen Intelligenz in der Bau- und Immobilienwirtschaft moderiert. Was hat Sie an diesem Format gereizt und wie sind Sie an die Vorbereitung herangegangen?

 

Mich reizte die Chance, Praktikerinnen und Praktiker aus sehr unterschiedlichen Organisationen zusammenzubringen und gemeinsam zu klären, was KI im Immobilienportfolio-Management tatsächlich bedeutet. In der Vorbereitung ging es vor allem darum, die relevanten Fragen zu identifizieren und ein Format zu entwickeln, das echte Diskussion ermöglicht. Ich habe deshalb bewusst auf ein interaktives und im ersten Moment sehr offenes Format gesetzt, das Raum für die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmenden liess.

 

25 Fachleute in einen offenen Austausch zu bringen, gelingt nicht automatisch. Was hat Sie an der Dynamik besonders überrascht?

 

Überrascht hat mich die enorme Offenheit, mit der die Teilnehmenden ihre Unsicherheiten geteilt haben. In einer Branche, die oft von Expertise und Erfahrung geprägt ist, hätte ich zurückhaltendere Diskussionen erwartet. Stattdessen entstand schnell eine Atmosphäre, in der rechtliche Grauzonen, Ängste vor Kontrollverlust und praktische Stolpersteine offen angesprochen wurden. Diese Ehrlichkeit war der Schlüssel dafür, dass wir von allgemeinen Chancen-Risiken-Diskussionen zu wirklich substanziellen Handlungsempfehlungen kommen konnten.

 

Sie haben die Ergebnisse mithilfe einer KI aufbereitet. Warum und hat sich der Versuch gelohnt?

 

Es war ein bewusster Reality-Check: Kann KI das leisten, was wir im Workshop besprochen haben? Die Erfahrung war aufschlussreich. KI hat mir geholfen, aus einem komplexen Diskurs strukturierte Outputs zu generieren: OnePager, Handlungsempfehlungen, Erfolgsfaktoren. Gleichzeitig musste ich an vielen Stellen korrigieren: ungenaue Formulierungen, fehlender Praxisbezug, manchmal auch inhaltliche Fehler. Das Fazit: KI ist ein mächtiges Werkzeug für die Wissensarbeit, aber sie ersetzt nicht das Fachwissen und die kritische Reflexion. Und genau diese Erkenntnis war auch eine zentrale Botschaft des Workshops. Herausgekommen ist ein aktuelles und relevantes Stimmungsbild von und für Praktiker in den Fachabteilungen der öffentlichen Hand, Unternehmen, Kirchen und der Wohnungswirtschaft. Lesenswert für jede und jeden, der in der Bau- und Immobilienwirtschaft heute Verantwortung trägt.

 

Welche Ergebnisse sind aus Ihrer Sicht besonders relevant?

 

Was mich am meisten bewegt, ist die Ambivalenz, die sichtbar wurde. Riesige Potenziale auf der einen Seite: von Effizienzsteigerungen über Fehlerreduktion bis zu neuen Geschäftsmodellen. Aber gleichzeitig massive Risiken: Wissensverlust, Abhängigkeiten, Haftungsfragen, Datenschutzprobleme. Die zentrale Erkenntnis ist, wir müssen beides ernst nehmen. Weder blinder Techno-Optimismus noch pauschale Ablehnung führen weiter. Was wir brauchen, ist eine kritische, gestaltende Haltung. Genau die haben die Workshop-Teilnehmenden gezeigt. KI schafft Potenziale für Effizienz, Qualität und Innovation, aber nur wenn Strategie und Governance stimmen, ebenso, wenn rechtliche und ethische Fragen geklärt sind. Der Mensch wird und muss bei der KI-Einführung in der Bau- und Immobilienbranche weiterhin die zentrale Rolle spielen. Ohne ihn als verantwortliche Instanz überwiegen die Risiken. Dieser Situation müssen sich die Immobilienabteilungen stellen.

 

Wie verändert KI den Arbeitsalltag in Immobilienabteilungen und was bedeutet das für Aus- und Weiterbildung?

 

Eine zentrale Sorge aus dem Workshop war der mögliche Verlust von Erfahrungswissen. Wenn KI künftig Routineaufgaben übernimmt, besteht die Gefahr, dass Grundkompetenzen verloren gehen oder gar nicht erst erworben werden. Das ist besonders kritisch in der Aus- und Weiterbildung: Müssen Studierende noch lernen, wie man manuell eine Nebenkostenberechnung macht, wenn die KI das schneller und bequemer erledigen könnte? Meine Antwort ist klar und deutlich: Ja. Man muss die Grundlagen verstehen, um KI-Outputs beurteilen zu können. Wenn wir nun die Nachwuchssituation in der Bau- und Immobilienbranche ansehen und die kommende «Generation Pension», müssen wir handeln. Jetzt.

 

Können Sie Beispiele nennen?

 

Im Facility Management kann KI enorm viel leisten, von der vorausschauenden Wartung über Energieoptimierung bis zur automatisierten Gebäudesteuerung. Für die Mitarbeitenden heisst das: Sie werden von reaktiven Feuerwehrleuten zu proaktiven Steuerern. Statt Ausfälle zu beheben, verhindern sie diese präventiv durch KI-gestützte Analysen. Das erfordert völlig neue Kompetenzen: Dateninterpretation, Systemdenken, Schnittstellen-Management und der Umgang mit zielgerichteten Tools.

 

Welche Kompetenzen sind künftig gefragt und wie werden sie vermittelt?

 

Wir brauchen eine neue didaktische Balance: Grundkompetenzen vermitteln, aber gleichzeitig den kompetenten Umgang mit KI-Tools trainieren. Das bedeutet: Mehr Reflexionsaufgaben, mehr Kritikfähigkeit, mehr ethische Diskussionen. Wir können nicht mehr nur klassisches FM-Wissen vermitteln, sondern müssen digitale Kompetenzen, KI-Literacy und den Umgang mit Veränderungen integrieren. Aus- und Weiterbildung müssen stärker auf Befähigung als auf reine Wissensvermittlung setzen. Dabei werden die Immobilienabteilungen immer mehr selbst sorgen müssen.

 

Adrian Wildenauer ist Professor an der Berner Fachhochschule und forscht zu Digitalisierung, KI und Organisationsentwicklung in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Ab Februar 2026 wird er die Leitung des neu geschaffenen Center for Smart Building & Real Estate an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) übernehmen.

 


 

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